Familienzusammenführung

Familie verbunden

Für eine Regelung der Familienzusammenführung über die Staatsgrenzen hinweg besteht ein besonderes Bedürfnis. Denn dieses Problem stellt sich in der ausländerbehördlichen Praxis sehr häufig — etwa dann, wenn Ausländer, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, darauf dringen, dass Kinder in das Gastland nachziehen.

Bei den Verhandlungen zu dem die Familienzusammenführung über die Staatsgrenzen hinweg regelnden Artikel 10 der UN-Kinderrechtskonvention hat sich herausgestellt, dass konsensfähig nur solche Garantien sind, die über die bereits bestehenden einschlägigen Garantien nicht hinausgehen. Artikel 12 Abs. 2 und 4 des UN-Zivilpaktes garantiert das Recht jedes Menschen, jedes Land, auch wenn er dessen Staatsangehöriger ist, zu verlassen und außerdem in das Land einzureisen, dem er als Staatsangehöriger angehört. Ein Recht auf Freizügigkeit in dem Sinne, dass jedermann nach eigenem Belieben in ein fremdes Land einreisen darf, ist nicht anerkannt. Jeder Staat kann selbst darüber entscheiden, ob und inwieweit er fremde Staatsangehörige einreisen lässt und ihnen den Aufenthalt erlaubt.

Artikel 10
(1) Entsprechend der Verpflichtung der Vertragsstaaten nach Artikel 9 Absatz 1 werden von einem Kind oder seinen Eltern zwecks Familienzusammenführung gestellte Anträge auf Einreise in einen Vertragsstaat oder Ausreise aus einem Vertragsstaat von den Vertragsstaaten wohlwollend, human und beschleunigt bearbeitet. Die Vertragsstaaten stellen ferner sicher, dass die Stellung eines solchen Antrags keine nachteiligen Folgen für die Antragsteller und deren Familienangehörige hat.

(2) Ein Kind, dessen Eltern ihren Aufenthalt in verschiedenen Staaten haben, hat das Recht, regelmäßige persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen zu pflegen, soweit nicht außergewöhnliche Umstände vorliegen. Zu diesem Zweck achten die Vertragsstaaten entsprechend ihrer Verpflichtung nach Artikel 9 Absatz 1 das Recht des Kindes und seiner Eltern, aus jedem Land einschließlich ihres eigenen auszureisen und in ihr eigenes Land einzureisen. Das Recht auf Ausreise aus einem Land unterliegt nur den gesetzlich vorgesehenen Beschränkungen, die zum Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit oder der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und mit den anderen in diesem Übereinkommen anerkannten Rechten vereinbar sind.

Vor diesem Hintergrund gibt Artikel 10 Absatz 1 der UN-Kinderrechtskonvention dem Kind oder seinen Eltern keinen Anspruch auf Einreise in die oder auf Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Die Vertragsstaaten übernehmen vielmehr nur die Verpflichtung, Anträge, die dem Zweck der Familienzusammenführung dienen, „aufgeschlossen, human und beschleunigt“ zu bearbeiten. Dies besagt nicht, dass dem Antrag auf Familienzusammenführung stattgegeben werden müßte. Er ist vielmehr nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts unter Berücksichtigung auch des Aspekts der wünschenswerten Familienzusammenführung zu bescheiden.

Nach Artikel 10 Absatz 1 Satz 2 der UN-Kinderrechtskonvention sollen die Vertragsstaaten ferner sicherstellen, dass allein die Stellung eines Antrags auf Familienzusammenführung für den oder die Betroffenen keine Nachteile hat. Diese Anforderungen sind innerstaatlich erfüllt. Abgesehen davon, dass ein solcher Antrag der Ablehnung verfallen kann, sind irgendwelche nachteiligen Folgen im innerstaatlichen Recht mit der Antragstellung als solcher nicht verbunden.

Artikel 10 Absatz 2 der UN-Kinderrechtskonvention sieht für Kinder, deren Eltern in verschiedenen Staaten ihren Aufenthalt haben, das Recht vor, persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen zu pflegen. Im Unterschied zu dem in Artikel 10 Absatz 1 behandelten Fall der Familienzusammenführung reicht es zur Verwirklichung des Absatzes 2 aus, dass sich Kinder und (oder) Eltern regelmäßig als Touristen im anderen Land besuchen. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis für dera rtige Besuche ist dessen ungeachtet Sache der Vertragsstaaten. Bei ihren Entscheidungen unterliegen sie den Beschränkungen, die — implizit — auch für die nach Artikel 10 Absatz 1 der UN-Kinderrechtskonvention zu treffende Entscheidung gelten: sie müssen das in Artikel 12 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte verankerte Recht des Kindes und seiner Eltern achten, aus jedem Land, einschließlich ihres eigenen, auszureisen und in ihr eigenes Land einzureisen.

Während den Verhandlungen zur UN-Kinderrechtskonvention ist im Zusammenhang mit der Diskussion der Artikel 9 und 10 insbesondere auch von der deutschen Verhandlungsdelegation die Besorgnis geäußert worden, dass das Übereinkommen die Freiheit der Vertragsstaaten, über den Zuzug von Ausländern zu entscheiden, einengen könnte. Zwar folgt eine solche Einengung nicht aus dem Wortlaut des Artikels. Aber die Verweisung auf Artikel 9 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention, die sowohl in Artikel 10 Abs. 1 als auch in Artikel 10 Abs. 2 enthalten ist, könnte Zweifel entstehen lassen. Die Delegation der Bundesrepublik Deutschland hatte darum bei der Zweiten Lesung beantragt, dem Artikel 9 folgenden Absatz anzufügen:

Die gesetzlichen Vorschriften der Vertragsstaaten über die Einwanderung und den Aufenthalt fremder Staatsangehöriger werden durch dieses Übereinkommen nicht berührt.1

Die zur Prüfung u. a. dieses Antrags eingesetzte Redaktionsgruppe hat den Vorschlag nicht übernommen, jedoch veranlasst, dass der Vorsitzende der Arbeitsgruppe die nachfolgende, vom allgemeinen Konsens getragene Erklärung zu Protokoll gab:

Nach dem Verständnis der Arbeitsgruppe soll Artikel 6 (entspricht Artikel 9 neuer Zählung) auf Trennungsfälle Anwendung finden, die auf innerstaatlichen Vorgängen beruhen, wohingegen Artikel 6 bis (entspricht Artikel 10 neuer Zählung) auf Trennungsfälle Anwendung finden soll, die verschiedene Länder und Fälle der Familienzusammenführung betreffen. Artikel 6 bis (entspricht Artikel 10 neuer Zählung) soll nicht das allgemeine Recht von Staaten antasten, ihre jeweiligen Einwanderungsgesetze im Einklang mit ihren internationalen Verpflichtungen zu erlassen und auszugestalten.2

Später hat der britische Delegierte bei der Verabschiedung des Übereinkommenstexts durch die Arbeitsgruppe eine Erklärung zu Protokoll gegeben, mit der festgestellt wurde, dass die Einwanderungs- und Staatsangehörigkeitsgesetzgebung im Vereinigten Königreich von dem Übereinkommen unberührt bleibt.3 Um vor dem Hintergrund dieser Erklärung über die Haltung der Bundesregierung zu dieser Frage keinen Zweifel aufkommen zu lassen, hat der Vertreter der Bundesrepublik Deutschland daraufhin bei der Annahme des Berichts über die Zweite Lesung des Übereinkommensentwurfs in der Arbeitsgruppe am 23. Februar 1989 folgende Erklärung zu Protokoll gegeben:4:

Nichts in dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes kann dahin ausgelegt werden, dass die widerrechtliche Einreise eines Ausländers in das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland oder dessen widerrechtlicher Aufenthalt dort erlaubt ist; auch kann keine Bestimmung dahin ausgelegt werden, dass sie das Recht der Bundesrepublik Deutschland beschränkt, Gesetze und Verordnungen über die Einreise von Ausländern und die Bedingungen ihres Aufenthalts zu erlassen oder Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern zu machen.

  1. UNO-Dokument E/CN.4/1989/48 vom 2. März 1989, S. 33 TZ 191[]
  2. UNO-Dokument E/CN.4/1989/48 vom 2. März 1989, S. 36 TZ 203[]
  3. UNO-Dokument E/CN.4/1989/48 vom 2. März 1989, S. 7 TZ 21[]
  4. UNO-Dokument E/ CN.4/1989/48 vom 2. März 1989, S. 139 TZ 721[]

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